Mail an Sabine Hinst


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Wie diese Geschichte entstand:
 

Dies ist eine Übung, die ich im Rahmen der Schulung bei der Axel-Andersson-Akademie geschrieben habe.

Eine Bitte noch: falls einer hier Text rauskopiert, bitte schön. Ich freue mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Aber bitte nur mit dem Copyright-Hinweis weiterverwenden.

Danke.

 

 

 

Autopanne im Wunderland

   
Ich hatte mir von unserem Picknick am See einiges versprochen.
Ursula war zu Recht sauer auf mich. "Viel Arbeit," war jeden Abend meine müde Entschuldigung gewesen.

Das wollte ich heute wieder gut machen, doch ein Gewitter hatte alles verdorben. Nass bis auf die Haut hatten wir uns ins Auto geflüchtet.
Und dann verreckte die verdammte Karre auch noch mitten in der Wildnis.

Glücklicherweise stand in der Nähe ein Haus. Viel Hoffnung hatte ich bei dieser windschiefen Hütte ja nicht, aber versuchen musste ich es. Ursula fror und wollte nur noch nach Hause.

Die notdürftig zusammengehaltenen Bretter der Tür wackelten bedenklich, als ich klopfte.

Es blieb dunkel.

Ich klopfte nochmal und wollte gerade wieder gehen, als ein Lichtstrahl durch die Ritzen drang.
Mit einem lauten "Iiiietsch" öffnete sich die Tür.

Vorsichtig rief ich "Hallo, ist da jemand?" in den Flur und schrak zurück.

Aus dem Nichts tauchte ein riesiger Kerl vor mir auf.

"Ja bitte, kann ich Ihnen helfen?" zwitscherte er mit glockenheller Sopranstimme.
Ich starrte ihn verwirrt an.
"Äh, ja, unser Wagen ist liegen geblieben. Die Zündung, es ist sicher die Zündung. Der Motor hat diesen Regen wohl einfach nicht verkraftet. Könnte ich wohl mal eine Werkstatt anrufen?"
"Aber gerne," zwitscherte er wieder. "Kommen Sie doch herein."
Trotz der freundlichen Worte hatte ich ein mulmiges Gefühl.

Er sah wirklich übel aus. Lange, schmierige Haare, abgerissene Klamotten, sein Bart reichte ihm fast bis zum Bauchnabel. Auf dem Kopf trug er eine grüne Zipfelmütze mit einem roten Bommel. Die Schuhe waren sicher zehn Nummern zu groß und an den Schnürbändern hingen silberne Glöckchen, die seine Singsang-Stimme bei jeder Bewegung begleiteten.
"Möchten Sie eine Tasse Tee?" fragte er lächelnd.
"Oh, äh, danke, eigentlich nicht, wenn ich nur mal kurz telefonieren dürfte? Ich will Ihnen keine Umstände machen." Ich versuchte, eine beginnende Panik zu unterdrücken.
"Aber ich bitte Sie. Das macht doch keine Umstände. Ziehen Sie einfach eine Nummer und dann bin ich gleich wieder da."
Damit verschwand er.

Tee trinken? Nummer ziehen? Ich wollte einfach nur eine Werkstatt anrufen und dann so schnell wie möglich wieder verschwinden.

Ich sah mich vorsichtig um. Der Eingangsbereich war in helles Licht getaucht. Nach zwei Metern totale Finsternis. Als hätte jemand das Licht mit einem Messer abgeschnitten. An der Holzvertäfelung hingen Tierschädel mit Geweihen, die mich aus leeren Augenhöhlen anstarrten. Mir lief ein Schauder über den Rücken.
Ich beschloss zu verschwinden, machte auf dem Absatz kehrt und blieb wie angewurzelt stehen.

Die Tür war weg.

Nur Dunkelheit. Um mich herum taghell. Und dann - nichts.
Vorsichtig wagte ich einen Schritt in Richtung 'Ausgang'. Von der Seite war ich doch gekommen, oder? Die Helligkeit bewegte sich mit mir. Langsam wagte ich noch zwei, drei Schritte.
Um mich herum blieb es immer noch hell.

Dankbar über diesen Umstand versuchte ich zur Tür zu gelangen. Irgendwo musste sie doch sein.
Aber halt, alles sah noch genauso aus wie vor meinem Fluchtversuch. Ich heftete meinen Blick fest auf eines der Geweihe und ging vorsichtig rückwärts, meine Füße bedächtig einen nach dem anderen absetzend. Aber ich kam nicht vom Fleck. Eine eiserne Faust umklammerte mein Herz. Das war doch...

In diesem Moment flötete aus dem Nichts die Stimme des Hausherrn: "Wenn Sie keine Nummer ziehen, bekommen Sie auch keinen Tee."

Ich gab auf. Gut, wenn er unbedingt seine Teestunde haben wollte, dann sollte er sie bekommen.
Mein Blick glitt suchend über die Dekoration der Holzwände.
Wenn ich eine Nummer ziehen musste, dann würde ja wohl auch irgendwo so ein Apparat mit Nummern sein. Nichts. Kein ... Doch, da war was.
Direkt neben mir steckte auf einem Geweih ein gelber Zettel. Ich streckte meinen Arm aus und schob meinen Fuß langsam näher an die Wand. Jetzt nur keinen Fehler machen. Ich bekam ihn zu fassen.
17 stand drauf!
17?
Kaum hatte ich den Zettel in der Hand, materialisierte an der Decke ein Leuchtschild. In großen roten Zahlen strahlte mir eine 16 entgegen.

OK! Soweit so gut. Ich musste mich also noch etwas gedulden.
Die Geweihe schienen mich auszulachen. Ich streckte ihnen die Zunge raus, schnitt eine Grimasse.
Wenn das so weiterging, würde ich noch wahnsinnig.

Über mir machte die Leuchtanzeige "Bong - bing!" Die 16 verwandelte sich in die 17.

Die Geweihe an der Wand verschwanden und eine Tür öffnete sich, dahinter ein im Biedermeierstil eingerichtetes Zimmer.
Cremefarben lackierte, zierliche Möbel, weißer Damast auf dem Tisch, geblümtes Geschirr mit Goldrand.
In der Mitte thronte eine kristallene Etagere mit kleinen Törtchen und aus den Tassen stieg in lustigen Kringeln Dampf zur Decke.

Plötzlich war auch mein Gastgeber wieder da.
"Bitte, setzen Sie sich doch. Möchten Sie Milch oder Zitrone zum Tee? Vielleicht eines der leckeren Obsttörtchen?"
Ich setzte mich auf einen der zerbrechlich wirkenden Stühle und fragte mich gerade, wie sich wohl der Riese in diese Niedlichkeit von Sitzmöbel zwängen wollte, als sich die Gestalt aufzulösen begann und ein kleines Mädchen mit goldblonden Zöpfen übrig blieb, mit hellblauem Kleid und rosafarbener Schleife um den Bauch. Und auch ihre Schuhe waren auf eine passende Größe geschrumpft.
"Habe ich mich eigentlich schon vorgestellt? Entschuldigen Sie bitte, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Alice."

Ein irres Lachen kullerte meine Kehle hoch. "Hihi. Günter heiße ich, ja, Günter. Was wollen Sie, ähem, willst du von mir? Ich wollte doch nur ..."
Ja, was denn eigentlich? Ich hatte doch fast vergessen, was ich hier wollte.
Und Ursula saß unten im Wagen und wartete.

Ich schoss hoch: "... telefonieren. Ich wollte doch nur eine Werkstatt anrufen. Wäre das wohl möglich?" Meine Stimme schwankte bedenklich.
"Aber wenn Sie, äh, wenn du kein Telefon hast, dann würde ich jetzt lieber gehen."
"Schade," seufzte die Kleine. "Ich hätte gerne noch etwas geplaudert. Schließen Sie doch bitte die Tür hinter sich."
Damit entschwebte sie. Die Wand öffnete sich wieder und gab den Blick auf den Flur frei.

Genau gegenüber hing ein Telefon an der Wand, eins von dieser altmodischen Sorte, mit Kurbel an der Seite. Mit einem Satz hechtete ich durch den Flur und kurbelte wie wild.
"Tankstelle Waldfrieden," tönte es mir aus der Muschel entgegen. Mich wunderte nichts mehr und ich gab schnell unseren Standort durch.

In einer halben Stunde versprach mir die müde Stimme am anderen Ende der Leitung. Ja, sie würden uns nicht vergessen. Es sei auch wirklich ungemütlich da draussen.

Ich warf den Hörer in die Gabel und suchte mit gehetztem Blick die Haustür. Da! Da war sie, kaum zu glauben. Mit einem beherzten Sprung war ich draußen, dachte irgendwie noch daran, die Tür zu schließen und raste den Hügel hinunter.


to be continued.
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